next up previous contents

Kapitel 3: IBMs erste Computer

Der CPC (1949)

Am übergang vom Rechenstanzer zum Computer steht der CPC, der »Card-Programmed Electric Calculator«. Hierbei handelte es sich um die Kopplung eines Rechenstanzers vom Typ 604, der als Rechenwerk fungierte, mit einer Buchungsmaschine, die Register zur Verfügung stellte und Daten ausdrucken konnte. Zusätzlich war eine elektromechanische Speichereinheit (für 16x10 Ziffern) angeschlossen.7

Programmierbar war der CPC über die Lochkarten, in die Befehlscodes eingestanzt werden konnten, welche dann über die Schalttafel interpretiert wurden. Der CPC arbeitete mit einem Drei-Adreß-Format: Zwei Zahlen, die aus dem Speicher, einem der Register oder der Karte selbst stammen konnten, wurden miteinander verknüpft und das Ergebnis an einer dritten Stelle abgelegt. Durch die Auslagerung der Steuerung von der Schalttafel auf die Lochkarte konnten umfangreichere Programme verwendet werden.

Der CPC war ein sehr erfolgreiches Produkt, bis 1956 waren etwa 700 Stück installiert. Er bot universelle Rechenleistung lange bevor echte Computer verfügbar waren. Im Gegensatz zu anderen IBM-Geräten wurde er nicht im kaufmännischen Bereich, sondern in Wissenschaft und Forschung eingesetzt (hier vor allem in militärischen Bereichen wie Flugzeugbau, Raketen- und Kernforschung [13]). 

IBMs Kontakt mit der Wissenschaft

Die Ausweitung der Produktpalette IBMs von reinen Büromaschinen (die ja auch im Firmennamen verankert sind) auf Rechengeräte und Computer für den technisch-wissenschaftlichen Bereich begann in den dreißiger Jahren. Die Brücke schlugen hierbei die Astronomen. Sie waren seit Leibniz' Zeiten an der Anwendung von Rechenmaschinen interessiert, um damit astronomische Tabellen zu berechnen. Auch im Werk von Charles Babbage finden sich astronomische Berechnungen als Motiv für seine Rechenautomaten. [5]

Pionier für die wissenschafliche Anwendung von Tabelliermaschinen war der Astronom Leslie Comrie am Royal Naval College in England, wo er ab 1928 mit Hilfe von Hollerith-Maschinen Mondpositionen berechnete . Auf Bestreben des Astronomen Wallace J. Eckert (nicht zu verwechseln mit J.P. Eckert, dem Mitentwickler des ENIAC) stiftete Watson 1933 der Universität von Columbia das »Thomas Watson Astronomical Computing Bureau«, IBMs erster Kontakt mit wissenschaftlichen Anwendungen. Von dort gingen wichtige Impulse zur Entwicklung von Rechenmaschinen für wissenschaftliche Zwecke aus, so der Kontakt zu Howard Aiken, dem Entwickler des ASCC (MARK I). 

Der SSEC (1948)

Zusammen mit dem CPC steht eine weitere Maschine an der Schwelle zum ersten echten Computer von IBM: der »Selective Sequence Electronic Calculator« (SSEC). Er wurde 1948 fertiggestellt und sollte den Großrechner ENIAC, der bereits seit zwei Jahren existierte, das Fürchten lehren.

Seine entscheidende Neuerung war die Von-Neumann-Architektur: Der SSEC hatte (im Gegensatz zum schalttafelgesteuerten ENIAC) ein extern gespeichertes Programm (»sequence«), dessen Befehle er wie Daten behandeln konnte. Es gab bedingte Verzweigungen (daher »selective sequence«), die auch Rückwärtssprünge erlaubten. Allerdings arbeitete der SSEC noch nicht binär, sondern dezimal. Als Einzelstück von IBM prestigeträchtig im Schaufenster des Hauptfirmensitzes mitten in New York aufgebaut, prägte er mit seinen wuchtigen Röhrenschränken und zahllosen blinkenden Kontrolleuchten das klassische Bild des »Riesenhirns«.

Da die Röhrentechnik für Computer noch in den Kinderschuhen steckte, wurden im SSEC neben 12.500 Röhren auch mehr als 20.000 Relais verwendet. Der Speicher war hierarchisch organisiert und ungewöhnlich groß: 8 Worte schneller Röhrenspeicher, 150 Worte Relaisspeicher und 20.000 Worte Lochstreifenspeicher auf 66 Lochstreifenlesern standen zur Verfügung. Bei einer Wortlänge von 19 Dezimalziffern + Vorzeichen (8 Byte) ergibt sich somit eine binäre Speicherkapazität von ca. 158 KByte. Aufgrund seiner Architektur, seines riesigen Speichers und seiner hohen Rechengeschwindigkeit (er konnte alle vier Grundrechenarten in weniger als 20 ms ausführen) galt der SSEC als Superrechner.

Wallace Eckert führte mit ihm Mondberechnungen durch, die später als Grundlage für das Apollo-Projekt dienten [3]. Man war überzeugt, daß etwa ein Dutzend SSECs den Rechenbedarf der ganzen Welt auf absehbare Zeit decken würden [7]. Schon vier Jahre später allerdings mußte das »Superhirn« seinem Nachfolger, dem Modell 701, weichen. 

Der 701 »Defense Calculator« (1952)

Das Modell 701 markiert IBMs endgültigen Eintritt in das Computerzeitalter. Zwei Faktoren waren dafür verantwortlich: Zum einen hatte der Erzrivale Remington-Rand den UNIVAC angekündigt, der als erster Computer der Welt in Serie gefertigt werden sollte.8 Zum anderen brach 1950 der Korea-Krieg aus, und Thomas Watson bot Präsident Truman alle verfügbaren Kapazitäten IBMs an, um die Vereinigten Staaten in diesem Krieg zu unterstützen. So entwickelte IBM unter anderem ein Zielgerät für den B-52 Bomber ([3], [7]). Die nationale Rüstungsindustrie (»defense industry«) benötigte zu jener Zeit dringend Rechenleistung für den Bau von Flugzeugen und Raketen, und IBM entschloß sich, einen universell verwendbaren Superrechner, den »Defense Calculator«, in Angriff zu nehmen. Erst wenige Tage vor seiner Vorstellung 1952 wurde er in »701« umbenannt, was eine neue Produktline neben der erfolgreichen 600er-Reihe der Büromaschinen begründete.

Die Entwicklung war ein Kraftakt der Firma: Sie wurde von einer geschlossenen Arbeitsgruppe durchgeführt, die nach einem Jahr bereits einen Prototypen präsentieren konnte. Mittlerweile waren in dem Unternehmen Stimmen laut geworden, daß die Entwicklung von Computern den Absatz von Tabelliermaschinen behindern könnte; außerdem sei ungewiß, ob es für solche Maschinen überhaupt einen Markt gäbe. Hier zeigen sich interessante Parallelen zur Entwicklung des IBM-PC im Jahre 1980/81, dem ein Großteil der Firma zunächst aus ähnlichen Gründen sehr skeptisch gegenüberstand [4].

Richtungsweisend war die konsequent binäre Architektur des 701. Dadurch wurde die Hardware einfacher, zuverlässiger und leicht erweiterbar (1954 folgte der 704, das erste Modell mit Kernspeicher, später der 709, der erste kommerzielle Computer mit Interrupt-Möglichkeit [15]). Auf Relais verzichtete man ganz, statt dessen bot der 701 neben 2048 Worten Röhrenspeicher noch 8 KByte Worte Magnettrommelspeicher (was bei einer Wortlänge von 36 Bit einer Speicherkapazität von etwa 50 KByte entspricht). Der »Defense Calculator« arbeitete mit einer Zykluszeit von 12 Mikrosekunden, entsprechend einer Taktfrequenz von 0,083 MHz. Von seiner Entwicklung gingen viele, für die weitere Entwicklung von IBM entscheidende Impulse aus: IBM entwickelte eigene Röhren (das erste elektronische Bauteil, das IBM in Serie herstellte), führte das Hardware-Modulkonzept ein, brachte das Magnetband zur Serienreife und erkannte, daß das binäre Prinzip ungeheure Vorteile brachte.

Der 701 war in der Tat universell einzusetzen: Er wurde von immerhin 19 Kunden verwendet, die ihn für mindestens ebensoviele verschiedene Aufgaben einsetzen konnten. Kommerziell war der Rechner allerdings kein Erfolg, da die Entwicklungskosten die Einnahmen durch die wenigen Kunden bei weitem überstiegen. Für die kommerzielle Datenverarbeitung spielte er jedoch aufgrund der durch seine Entwicklung eingeführten Technologien eine wichtige Vorreiterrolle. Thomas J. Watson kam zu dem Schluß: »We can't afford it and we've got to get the profits up.« [7]

Cartoon
Abb 3: Kommerziell war das Modell 701 kein Erfolg (aus [6])

IBM 650, das »Modell T« (1953)

Das folgende Modell, der »650«, war entscheidend für das weitere Schicksal IBMs. Die neuartigen »Elektronischen Datenverarbeitungsmaschinen« sollten nicht nur Prestige bringen, sondern auch Gewinn abwerfen; Watson setzte das Ziel, Computer kommerziell nutzbar zu machen. Für das neue Modell war daher - neben Zuverlässigkeit und leichter Programmierbarkeit - ein möglichst niedriger Preis oberstes Entwicklungsziel.

Der 650 wurde von demselben Team wie der SSEC entwickelt und arbeitete dezimal. Um Kosten zu sparen, verwendete man anstatt des teuren Röhrenspeichers einen Magnettrommelspeicher. Dieser bestand aus einer 35 cm langen, außen mit einer Kobalt-Nickel beschichteten Trommel von 10 cm Durchmesser, die von 100 bzw. beim größeren Modell von 200 Schreib-Leseköpfen abgetastet wurde und mit der unglaublichen Geschwindigkeit von über 200 Umdrehungen pro Sekunde rotierte. Je fünf Köpfe bildeten ein »Band« und lieferten eine Dezimalziffer, die mit fünf Bit in einer binären Kodierung gespeichert war. Auf einem Band fanden um die Trommel herum 50 Worte zu 10 Ziffern (+ Vorzeichen) Platz, so daß 1000 bzw. 2000 Worte Arbeitsspeicher zur Verfügung standen. So erhielt man einen relativ billigen, großen, zuverlässigen und schnellen Speicher. Die mittlere Zugriffszeit konnte durch das sogenannte Zwei-Adress-Format von 2,4 ms auf 0,8 ms gedrückt werden: Jede Instruktion enthielt einen Verweis auf den nächsten auszuführenden Befehl, so daß bereits während der Ausführung eines Befehls der nächste geladen werden konnte. Des weiteren wurde das »SOAP«-Programm entwickelt, das die Anordnung der Daten auf der Trommel optimierte. Intern arbeitete der 650 mit einer fehlererkennenden binären Kodierung, was ihn sehr zuverlässig machte.

Zwar war er durch die seriell arbeitende Arithmetik nicht besonders schnell; sein einfacher, aber eleganter Befehlsvorrat und seine relativ leichte Bedienbarkeit über eine Steuerkonsole machten ihn demnach für Universitäten und Firmen attraktiv. Mit einem Mietpreis von $3750 pro Monat kostete er nur ein Zehntel des 701-Nachfolgemodells 709; mit 2000 verkauften Maschinen9 wurde der 650 zum »Modell T der Computerindustrie« [7]. Für viele Wissenschaftler war dieses Modell der erste Kontakt mit einem Computer [10]; Donald E. Knuth widmete seine »Art of Computer Programming« dem 650 »in remembering of many pleasant evenings.«

Mit dem Modell 650 legte IBM die Grundlage für die Vorherrschaft auf dem Computermarkt während der nächsten Jahrzehnte. Mit diesem Produkt hatte man es geschafft, einen ganzen Industriezweig zu legitimieren: Die kommerzielle Vermarktung von Computern war möglich geworden. Der Absatz zeigte, daß tatsächlich Bedarf für solche Geräte bestand und ein Markt dafür existierte, auch wenn man nur wenige Jahre zuvor geglaubt hatte, daß die Rechenleistung weniger SSECs für die gesamte Welt ausreichen würde.


7
Außerdem befand sich ein kleines Wägelchen im Lieferumfang, um die Lochkartenstapel zu transportieren. [9]
8
Der erste Anwender des UNIVAC war das amerikanische Censusbüro. [8]
9
Wie schon beim 701 gab es bei IBM intern Widerstand gegen das Projekt: die Marketingabteilung hatte einen Absatz von 0 Stück prophezeit. [7]


next up previous contents 
Copyright © 1998 Stefan Winterstein. Verbreitung dieses Textes außerhalb des WWW nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.